Die rasante Integration Künstlicher Intelligenz (KI) verändert die Rechtsbranche grundlegend. Während KI-Systeme das Potenzial haben, die Effizienz und Produktivität in Kanzleien und Rechtsabteilungen enorm zu steigern, werfen sie gleichzeitig komplexe Fragen hinsichtlich Qualität, Verantwortlichkeit und rechtlicher Compliance auf. Es ist entscheidend, dass Juristen und Kanzleien nicht nur die Chancen erkennen, sondern auch die damit verbundenen Risiken verstehen und proaktive Strategien entwickeln, um diese zu managen.
Herausforderungen und Haftungsrisiken generativer KI im Rechtswesen
Generative KI-Modelle wie Large Language Models (LLMs) sind in der Lage, Texte zu erstellen, zu analysieren und zusammenzufassen, was im juristischen Kontext von unschätzbarem Wert sein kann. Doch diese Technologien sind nicht fehlerfrei. Ein bekanntes Problem sind sogenannte „Halluzinationen“, bei denen die KI falsche oder nicht existierende Informationen generiert, einschließlich frei erfundener Zitate oder Fundstellen. Ein aktuelles Beispiel aus dem Amtsgericht Köln, bei dem ein Anwalt einen Schriftsatz mit durch KI generierten, falschen Zitaten einreichte, unterstreicht die Notwendigkeit menschlicher Prüfung und Sorgfalt.
Haftungsrechtliche Zurechnung: Wer trägt die Verantwortung?
Die Frage der Haftung bei Fehlern, die durch KI-Systeme verursacht werden, ist zentral. Grundsätzlich gilt: Die KI selbst haftet nicht, da ihr eine eigene Rechtspersönlichkeit fehlt. Die Verantwortung liegt stattdessen beim Verwender oder Betreiber des KI-Systems – im Zweifel also beim Unternehmen oder der Kanzlei, die KI-generierte Inhalte nutzt und sich diese zu eigen macht, sei es auf der Website, in Kundenunterlagen oder in der Rechtsberatung. Ein kanadisches Gericht hat beispielsweise eine Fluggesellschaft für Fehlinformationen durch ihren Chatbot haftbar gemacht, da das Unternehmen keine angemessenen Maßnahmen zur Sicherstellung der Richtigkeit der KI-Antworten ergriffen hatte.
Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) regelt die Haftung für den Einsatz von KI oder deren Mangelhaftigkeit nicht explizit, doch es kommen allgemeine Haftungsgrundsätze zur Anwendung. Zukünftig wird die Produkthaftungsrichtlinie (ProdHaftRL) angepasst, und ein Vorschlag für eine EU-KI-Haftungsrichtlinie sieht spezifische Regeln vor, um die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen bei KI-verursachten Schäden zu erleichtern. Dies beinhaltet eine mögliche widerlegliche Kausalitätsvermutung, wenn ein Anbieter gegen Sorgfaltspflichten verstößt und ein Schaden eintritt. Das Phänomen der „Black Box“, also der mangelnden Nachvollziehbarkeit von KI-Entscheidungen, soll durch Offenlegungspflichten für Hochrisiko-KI-Systeme adressiert werden.
Datenschutz und weitere Risiken
Ein weiteres signifikantes Risiko betrifft den Datenschutz. Die Verarbeitung personenbezogener Daten bei der Nutzung von KI-Systemen fällt unter das strenge Regime der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Dies umfasst nicht nur Registrierungsdaten, sondern auch personenbezogene Daten, die in Prompts eingegeben oder in hochgeladenen Dokumenten enthalten sein können. Die Übertragung dieser Daten auf Server in Drittländern, insbesondere in den USA, kann zusätzliche datenschutzrechtliche Probleme aufwerfen. Kanzleien müssen daher sicherstellen, dass ihre KI-Nutzung DSGVO-konform ist und geeignete technische und organisatorische Maßnahmen ergriffen werden.
Darüber hinaus können KI-Systeme diskriminierende Ergebnisse produzieren, wenn sie mit voreingenommenen Daten trainiert wurden – ein Risiko, das beispielsweise bei Rekrutierungs-KIs auftreten kann. Solche Bias-Probleme stellen erhebliche ethische und rechtliche Herausforderungen dar.
Der EU AI Act: Ein regulatorischer Rahmen für die Anwaltschaft
Die Europäische Union hat mit dem EU AI Act (Verordnung (EU) 2024/1689) einen weltweit ersten umfassenden regulatorischen Rahmen für Künstliche Intelligenz geschaffen. Ziel ist es, Innovation zu fördern und gleichzeitig hohe Standards für den Schutz von Gesundheit, Sicherheit und Grundrechten zu gewährleisten.
Risikobasierter Ansatz und Pflichten
Der AI Act verfolgt einen risikobasierten Ansatz, der KI-Systeme in vier Kategorien einteilt:
- Unannehmbares Risiko: Praktiken, die fundamentale Rechte verletzen, sind strikt verboten (z.B. manipulatives Verhalten, Social Scoring).
- Hohes Risiko: Systeme mit potenziell gravierenden Auswirkungen (z.B. in der Rechtsdurchsetzung, im Gesundheitswesen oder bei der kritischen Infrastruktur) unterliegen strengen Anforderungen. Rechtsanwälte und Legal Tech-Unternehmen fallen als Anbieter und/oder Betreiber solcher Systeme regelmäßig in den Anwendungsbereich des AI Acts.
- Geringes Risiko: Für diese Systeme gelten Transparenzpflichten.
- Minimales Risiko: Systeme ohne nennenswerte Risiken sind weitgehend unreguliert.
Für Anbieter (die KI-Systeme entwickeln oder auf den Markt bringen) und Betreiber (die KI-Systeme beruflich einsetzen) von Hochrisiko-KI-Systemen ergeben sich umfangreiche Pflichten. Dazu gehören die Implementierung eines Risikomanagementsystems, die Sicherstellung von Transparenz (einschließlich der Kennzeichnung KI-generierter Inhalte), die Einhaltung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sowie eine detaillierte Dokumentation zur Nachverfolgbarkeit von KI-Entscheidungen.
Auswirkungen und Zeitplan
Der AI Act ist am 1. August 2024 in Kraft getreten, wobei die Regelungen schrittweise bis 2027 Gültigkeit erlangen. Beispielsweise treten die Bestimmungen zu verbotenen KI-Praktiken bereits am 2. Februar 2025 in Kraft, während die Einstufungen für Hochrisiko-KI-Systeme erst im Sommer 2027 verpflichtend werden. Verstöße gegen die Verbote können empfindliche Strafen von bis zu 35 Millionen Euro oder 7% des globalen Jahresumsatzes nach sich ziehen.
Für die Anwaltschaft bedeutet dies, dass sie sich nicht nur mit den neuen Compliance-Anforderungen des AI Acts auseinandersetzen muss, sondern auch prüfen sollte, wie sie KI sinnvoll nutzen kann, ohne gegen bestehende berufsrechtliche Vorschriften zu verstoßen. Die Nichteinhaltung des AI Acts oder das Versäumnis, KI-Risiken zu managen, kann nicht nur zu finanziellen Strafen, sondern auch zu Reputationsschäden führen.
Die Notwendigkeit menschlicher Aufsicht und robuster Qualitätskontrolle
Angesichts der potenziellen Risiken und der Komplexität von KI-Systemen ist die menschliche Aufsicht ein unverzichtbarer Pfeiler für den sicheren und verantwortungsvollen Einsatz im Rechtswesen. Der AI Act verpflichtet explizit zur wirksamen menschlichen Aufsicht bei Hochrisiko-KI-Systemen (Artikel 14 AI Act).
Definition und Ziele der menschlichen Aufsicht
Menschliche Aufsicht bedeutet, dass natürliche Personen in der Lage sein müssen, den Betrieb eines Hochrisiko-KI-Systems während dessen gesamter Einsatzdauer wirksam zu überwachen und bei Bedarf einzugreifen. Ziel ist es, Risiken für Gesundheit, Sicherheit und Grundrechte zu verhindern oder zu minimieren, die trotz Einhaltung anderer Anforderungen des AI Acts fortbestehen könnten.
Die Aufsichtsperson muss dabei „kausale Wirksamkeit“ über das System haben, was bedeutet, dass sie in das System eingreifen und dessen Entscheidungen überstimmen können muss. Dies erfordert ein tiefgreifendes Verständnis der Fähigkeiten und Grenzen des KI-Systems, die Fähigkeit, Anomalien, Fehlfunktionen oder unerwartete Leistungen zu erkennen und zu beheben, sowie ein Bewusstsein für den „Automatisierungsbias“ – die mögliche Tendenz, sich übermäßig auf die von der KI generierten Ausgaben zu verlassen. Experten fordern hierfür klare „KI-Grundregeln“ für menschliche Aufsicht.
Qualitätskontrolle juristischer KI-Anwendungen
Die Qualitätskontrolle von durch KI generierten Rechtstexten und juristischen Analysen ist von höchster Bedeutung. KI-Systeme können zwar eine hohe Analysetreue erreichen, wie beispielsweise spezialisierte Legal AI Suiten, die eine beständig hohe Analysqualität von über 92% aufweisen können. Dennoch bleibt die menschliche Überprüfung unerlässlich.
Fehlervermeidung beginnt bereits bei der Datenqualität: KI-Systeme sind nur so gut wie die Daten, mit denen sie trainiert werden. Schlechte, unvollständige oder voreingenommene Daten führen zu unzuverlässigen Ergebnissen. Eine gründliche Datenvorbereitung ist daher entscheidend. Darüber hinaus sind kontinuierliche Überwachung und die Anpassung von KI-Systemen notwendig, um Probleme frühzeitig zu erkennen.
Für Anwälte bedeutet dies, dass sie KI-Tools als unterstützende Werkzeuge betrachten sollten, die Routineaufgaben wie juristische Recherche, Dokumentenanalyse und Entwurfserstellung erleichtern können. Sie ersetzen jedoch nicht die juristische Fachkenntnis, das kritische Denken und die finale Verantwortung des Anwalts. Das bewusste Hinterfragen und Prüfen der von der KI bereitgestellten Informationen ist eine Sorgfaltspflicht.
Qualitätsmanagement und Risikominimierung in der Kanzlei
Ein proaktives Qualitätsmanagement und ein strukturiertes Risikomanagement sind entscheidend, um die Vorteile von KI im Rechtswesen zu nutzen und gleichzeitig die damit verbundenen Risiken zu minimieren.
Implementierung interner Richtlinien und Compliance
Kanzleien sollten klare Leitlinien und interne Compliance-Maßnahmen für den Einsatz von KI definieren. Dazu gehört:
- Ziele für den KI-Output festlegen: Bevor KI-Anwendungen eingesetzt werden, sollten Kanzleien klare Ziele für deren Output formulieren und regelmäßig überprüfen, ob diese erreicht werden.
- Kontrolle statt blindem Vertrauen: KI ist nicht unfehlbar. Ergebnisse müssen stets gegenprüft werden, oft reicht schon gesunder Menschenverstand. Bei rechtlichen Fragen sollte KI nur verwendet werden, wenn die Antwort selbst kontrolliert werden kann.
- Datenschutz-Compliance: Sicherstellen, dass die Nutzung von KI den Anforderungen der DSGVO entspricht, insbesondere bei der Verarbeitung personenbezogener Daten.
- Dokumentation: Detaillierte technische Unterlagen und Protokolle zur Nachverfolgbarkeit von KI-Entscheidungen sind wichtig.
Aufbau eines spezifischen KI-Risikomanagementsystems
Ein effektives KI-Risikomanagement ist der Schlüssel zur Minimierung von Risiken. Dies umfasst die Implementierung eines Systems zur Identifizierung, Bewertung und Minderung potenzieller Risiken, das speziell auf die Bedürfnisse der Kanzlei und die Anforderungen des AI Acts zugeschnitten ist. Die Nichteinführung eines solchen Managements birgt selbst Risiken, da Wettbewerber bei Effizienz und Kosten die Nase vorn haben könnten. KI kann hierbei sogar das Risiko- und Compliance-Management beschleunigen.
Kompetenzentwicklung und menschliche Expertise
Eine zentrale Anforderung des EU AI Acts ist die Sicherstellung eines ausreichenden Maßes an KI-Kompetenz innerhalb des Unternehmens. Dies beinhaltet:
- Technisches Verständnis: Grundkenntnisse über die Funktionsweise von KI-Systemen.
- Rechtliche und ethische Aspekte: Bewusstsein für gesetzliche Vorgaben und ethische Implikationen.
- Risikobewusstsein: Fähigkeit, potenzielle gesellschaftliche und datenschutzrechtliche Risiken zu erkennen und zu bewerten.
Die menschliche Expertise bleibt dabei unersetzlich. KI-Tools sind hervorragend für die Automatisierung repetitiver Aufgaben, aber sie können die Verantwortung oder Entscheidungsbefugnis des Rechtsanwalts nicht ersetzen. Die sorgfältige Berufsausübung des Anwalts (§ 43 BRAO) und die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung (§ 613 BGB) bleiben bestehen.
Chancen und Effizienzgewinne durch den verantwortungsvollen KI-Einsatz
Trotz der Herausforderungen bietet der strategische und qualitätsgesicherte Einsatz von KI enorme Chancen für die Anwaltschaft. KI-Tools können juristische Arbeit in vielen Bereichen revolutionieren:
- Juristische Recherche: KI-gestützte Suchsysteme können juristische Datenbanken intelligent durchsuchen und relevante Rechtsprechung, Gesetzestexte und Fachliteratur präziser identifizieren, was traditionell eine der zeitintensivsten Aufgaben ist.
- Automatisierte Dokumentenerstellung: KI kann bei der Erstellung von Verträgen und anderen juristischen Dokumenten unterstützen, indem sie Standardklauseln mit benutzerdefinierten Anforderungen kombiniert.
- Vertragsprüfung und ‑analyse: Spezialisierte KI-Tools können Verträge in Sekundenschnelle auf fehlende, fehlerhafte oder regelwidrige Klauseln prüfen, potenzielle Risiken und Compliance-Verstöße identifizieren und Korrekturvorschläge unterbreiten.
- Mandantenkommunikation: Chatbots und virtuelle Assistenten können grundlegende rechtliche Fragen beantworten und so die Arbeitsbelastung reduzieren.
- Risiko- und Compliance-Management: KI kann dabei helfen, Risiken rechtzeitiger zu erkennen und Compliance-Prozesse zu beschleunigen.
Diese Effizienzgewinne ermöglichen es Anwälten, sich von Routineaufgaben zu entlasten und sich auf anspruchsvollere, strategische und wertschöpfende Tätigkeiten zu konzentrieren, bei denen Empathie, ethische Urteilsfähigkeit und kreatives Problemlösen unverzichtbar sind.
Fazit
Die Integration von Künstlicher Intelligenz in das Rechtswesen ist eine unumkehrbare Entwicklung, die sowohl enorme Potenziale als auch signifikante Herausforderungen mit sich bringt. Der EU AI Act etabliert einen klaren regulatorischen Rahmen, der Kanzleien und Legal Tech-Anbieter vor die Aufgabe stellt, ihre Prozesse anzupassen und strenge Anforderungen an Transparenz, Sicherheit und Verantwortlichkeit zu erfüllen. Menschliche Aufsicht und eine umfassende Qualitätskontrolle sind dabei nicht nur rechtliche Pflichten, sondern essenzielle Bestandteile eines verantwortungsvollen KI-Einsatzes. Die Fähigkeit, KI-Ergebnisse kritisch zu prüfen, interne Risikomanagementsysteme zu implementieren und Mitarbeiter kontinuierlich zu schulen, wird darüber entscheiden, welche Kanzleien die Chancen der digitalen Transformation erfolgreich nutzen und sich gleichzeitig rechtlich absichern können. Letztlich bleibt die KI ein mächtiges Werkzeug, dessen Nutzen maßgeblich von der Kompetenz und dem Urteilsvermögen der menschlichen Juristen abhängt.
Schreibe einen Kommentar
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.